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Nichts Mitbringen

Nichts mitzubringen war Absicht: Während Jahren der Arbeit mit Strassenkindern, Indianern, Kleinbauern, Bewohnern von Elendsquartieren hatte ich gelernt, dass im Kontext von Sozialarbeit und  Entwicklungszusammenarbeit eine wirkliche Beziehung, wenn überhaupt, dann entstehen kann, wenn man sich mit “leeren” Händen hineinbegibt. Jetzt, bei den Totobiegosode von Arucojnadi, vertiefte ich diese Erfahrung, mehr einer inneren Intuition als einer rational greifbaren Absicht folgend. Es war im eigentlichen Sinne eine über längere Zeit und mehrere Besuche geführte Feldstudie, die das, was es in einer solchen Beziehung gibt und was geschehen kann zum Gegenstand hatte. Im Zentrum dieser Erforschung stand auch ich, und ich war, über meine Wahrnehmungen und Gefühle dabei, auch Teil des Messinstruments. Ich setzte mich der Beziehung aus.

Etwas mitbringen ist oft wie die Materialisierung einer Legitimation, die man, auch wenn man einer solchen vielleicht entbehrt, sich dadurch sozusagen selbst ausstellt und die man dann auch sichtbar vorzeigen kann. Diese Selbstlegitimierung bezieht die Möglichkeit ihrer Existenz aus der scheinbar selbstverständlichen und allseits einsichtigen Tatsache, dass die Gegenseite, die Besuchten, in einer Situation der materiellen Bedürftigkeit, des Elends oder dessen, was wir als “Armut” definieren, leben: Eine Situation, deren Beschaffenheit in unseren Augen für die Besuchten “lebensbedrohlich” ist – ihre physische und psychische Integrität und Gesundheit ist  akut bedroht. Gemessen wird dieser Befund, der auf eine Notsituation anspielt, die beinahe jedwelche Massnahme unsererseits im Vornherein als begrüssenswert erscheinen lässt, am konventionellen Normalitätsstandard unserer eigenen Lebenskultur. Das heisst, an unserer Auffassung von Hygiene beispielsweise, oder an unserer Auffassung von dem, was “gesund” ist – sie ist meist stark verkürzt und reduziert das Wohlergehen auf wenige materielle Faktoren, unter Auslassung sozialer, spiritueller und damit “komplizierterer” Aspekte. Individuelles Überleben im materiellen Sinn wird dabei über Alles gestellt, auf eine Art, die das traumatische Verhältnis zum Tod, das unsere Kultur charakterisiert, widerspiegelt.

Das von uns Mitgebrachte ist damit in unseren Augen, ungeachtet dessen, ob es viel oder wenig ist und bedeutet, gemessen am von uns selbst diagnostizierten Ausmass des “bedürftig”- seins, in jedem Fall etwas Willkommenes und Wesentliches für die Empfänger. Wir gehen davon aus, dass ihnen dies so klar ist wie uns selbst, etwas anderes können wir uns gar nicht vorstellen. – In diesen Zusammenhang gehören die gelegentlichen Erfahrungen von Enttäuschung, die gemacht werden: “Ich habe einem Bettler oder einen Strassenkind etwas gegeben oder angeboten, und er/ es hat nicht einmal gedankt….”. Manchmal sprechen wir dann von fehlender Dankbarkeit, von fehlender Verantwortung der Armen ihrem eigenen Leben, oder von fehlendem Bewusstsein der eigenen Situation gegenüber….

Die von uns deklarierte Bedürftigkeit des Gegenübers ist ein über- den- Andern- sprechen und etwas Aussagen, noch bevor man ihm oder ihnen selbst überhaupt zugehört hat. Es ist ein Ausdruck der Tatsache, dass wir nicht zuzuhören brauchen, weil wir ja schon wissen – und zwar besser als die Betroffenen selbst – wo es fehlt und was fehlt.  Dass von “Fehlen” die Rede ist – “etwas fehlt” – hilft, die Analyse auf Mangel und Bedarf auszurichten und einzuschränken. Dass etwas “zu viel sein könnte”, im Übermass vorhanden sein, das würde sowohl die Analyse als auch die Beziehung selbst sehr komplizieren. Darauf einzugehen, lässt der permanente Zeit- und Effizienzdruck nicht zu.

Feststellen, dass zwar Einiges “fehlt”, andrerseits aber Vieles da ist und oft einen eigentlichen Reichtum darstellt, das würde die Beziehung der Wechselseitigkeit, der Möglichkeit der gegenseitigen Wertschätzung und Anerkennung öffnen und damit die Grundlage der vielgepriesenen, aber nicht praktizierten Gleichwertigkeit und Partnerschaft im realen Sinne schaffen. Man könnte dann beginnen, auszutauschen und von einander zu lernen….

 

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 Das Mitgebrachte kann viel oder wenig sein, gemessen am Bedarf soll es immer zählen. Das hilft uns dann auch gleichzeitig, auch und vor Allem Dinge, die wir selbst nicht (mehr) brauchen, jenseits der Bedarfsabklärung bei den Besuchten und Beschenkten, mitzubringen.

 

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 Nicht nur als Legitimation dient das Mitgebrachte. Oft ist es, als würde, wenn man etwas mitbringt, dieses gleichzeitig als Schutzschild dienen. Man braucht sich nicht auszusetzen und zu exponieren. Das Mitgebrachte ist wie eine selbstverständlich freudespendende Aussage, die ich in den noch leeren Raum der Beziehung stelle. Von da weg kann sich die Aufmerksamkeit der Gegenseite auf das Mitgebrachte richten, und ich selbst wiederum kann mich dahinter verstecken. Dieses Verstecken wird durch die “desinteressierte” Selbst- losigkeit, die für uns eine Tugend ist und die sich auch in der Suche des Spenders nach Anonymität ausdrückt, zum ethisch empfohlenen Wert. Ich bin ja nicht wichtig, bitte, ich habe nur gerade etwas “Kleines” mitgebracht….

Versteckt hinter dem Mitbringsel kann man, etwas böse ausgedrückt, die eigene Absicht dann recht risikolos realisieren. Man hat sich sozusagen Eingang und ein für das eigene Tätig Sein offenes und die eigene Intentionalität freies Feld verschafft.

Tatsächlich hat das Geschenk auf der Empfängerseite oft, wenn nicht meist, eine etwas verwirrende oder sogar lähmende, Wirkung. Es ist nicht leicht, sich Jemandem, der einem gerade Etwas geschenkt hat, entgegenzusetzen und ablehnend zu zeigen. Zweifel am Nutzen des Mitgebrachten oder angebotenen Gutes beschwichtigt der Empfänger in sich selbst, ohne sie dem Gegenüber zu zeigen oder zum Ausdruck zu bringen. “Na ja, nützt es nichts, dann schadet es wenigstens auch nicht…!” Mittlerweise ist der Wohltäter und Spender aber schon aus seiem Versteck hinter dem Mitgebrachten hervorgetreten und steht mitten in der Stube.

So ist es für die Beschenkten schwierig, fast unmöglich, sich über das Geschenk hinwegzusetzen, seine Wirkung sozusagen auszusetzen. Und da ein wirkliches in- Beziehung- gehen  in diesem Feld traditioneller Ungleichheit auch für sie eine Grenze darstellt, mögen sie die Gelegenheit ergreifen, sich mit den missbräuchlichen Untertönen des Geschehens auszusöhnen, um damit auch den Mühen, Unsicherheiten und Risiken, die ein echtes sich- Begegnen von ihnen fordern würde, aus dem Weg gehen zu können.

Das Mitgebrachte trägt nicht zur Erhellung der Beziehung bei, sondern im Gegenteil zu ihrer weiteren Vernebelung. Die dadurch geschaffene oder vergrösserte Verwirrung ist für die benachteiligte Seite, die Besuchten, gefährlich. Es geht ja um eine Beziehung, in der seit Jahrzehnten, manchmal  Jahrhunderten Abhängigkeit kultiviert wird, wo die unbewussten Privilegien der einen Seite zur Entmachtung und Ausbeutung der anderen Seite eingesetzt werden. Wo Macht unbewusst gelebt und dadurch missbräuchlich wird. Der Besucher ist zwar “guten Willens”, er gehört einer neuen Generation an und hat mit der langen Geschichte von Gewalt und ihrer Vertuschung und Beschönigung nichts zu tun, aber weder er selbst noch das, was er tut, entgehen und sind frei von diesem Geist des gesamten Feldes: Sie gehören dazu und werden davon geprägt.

Selbst wenn der Besucher – es kann auch eine Nichtregierungsorganisation oder ein Hilfswerk mit einem neuen Projekt oder Ansatz sein – in der langen Geschichte der Ungleichheit mit seiner persönlichen Beziehung einen Neuanfang machen wollte, ist dies vermutlich nur dann möglich, wenn er sich selbst der “Vorgeschichte” bewusst ist und dieses Bewusstsein mitbringt und mit hineinverwebt in seine eigene, persönliche Beziehung. Tut er dies nicht – was meist der Fall ist, wer hat heute Zeit, in Beziehung zu gehen? –  trägt sein Unterfangen unbeabsichtigt zur weiteren Verdunkelung der Beziehung bei. Die Gegenseite ist sich der von ihr erlittenen und immer noch andauernden Abhängigkeit  allzu oft nicht bewusst, aber die dadurch entstandenen Wunden sind da und machen sie entsprechend verletzlich. Hier erreicht sie nun das Mitgebrachte, das Geschenk, und scheinbar ist es also etwas Gutes, und es besteht die Gefahr besteht, dass man sich dem öffnet.

Strassenkinder und Campesinos wissen sich in dieser Situation zu schützen, was nicht bedeutet, dass sie auf die Dauer nicht doch der Gefahr einer Verwirrung und Vertuschung der wahren, immer noch bestehenden Umstände sozialer Ungerechtigkeit, Abhängigkeit und Ausbeutung ausgeliefert sind.

Bei Strassenkindern beispielsweise zeigt sich dieser Selbstschutz in einer Art intuitivem Reflex, sich gegen das verlockende Angebot affektiver Zuneigung etwa einer Sozialarbeiterin – sie sind für die menschliche Nähe einer Frau oft besonders empfänglich – ablehnend zu verhalten. Sie ahnen oder “wissen”, dass die so fest ersehnte Zuneigung der fehlenden realen Beziehung wegen nur von kurzer Dauer sein kann, von der Dauer des institutionell möglichen Augenblicks, bevor die Sozialarbeiterin sich wieder in ihr eigenes Privatleben zurückzieht. Sie haben den Schmerz des Verlustes – vermutlich auch in dieser Situation – mehr als einmal erlebt und haben gelernt, sich gegen erneute Erfahrungen dieser Art zu schützen….

Campesinos schützen sich vielerorts anders. Sie gehen scheinbar auf alles ein und “ziehen mit”. Mit der Zeit merkt der Besucher von Aussen dann allerdings, dass es sich lediglich um ein scheinbares Einverständnis an der Oberfläche handelt. Es diente zur Überwindung der momentanen Situation, zur raschen Zufriedenstellung des Besuchers. Widerstand oder echte Auseinandersetzung hätte viel Mühe gekostet und wäre

vermutlich, der politischen und materiellen Überlegenheit des Besuchers wegen, fruchtlos gewesen. Denn der Besucher steht ja immer noch im Feld der Ungleichheit, auf der überlegenen Seite.

Wer die Möglichkeit  hat, Anderen Hilfe anzubieten, sie manchmal in entlegenen Gebieten und unter Mühen aufzusuchen und ihnen etwas mitzubringen, wer die Möglichkeit hat, über Andere nachzudenken, Pläne und Projekte auszuarbeiten und sie darüberhinaus sogar noch zur Durchführung zu bringen, der steht im genannten Ungleichheitsfeld und profitiert davon. Weiss er, weiss sie es?

Nach 500 Jahren hingehen und tun, als wäre man der erste, das mag von gutem Willen zeugen. Soll aber die Beziehung eine wirkliche werden, gehört viel mehr dazu…

 

Benno Glauser

1999

 

bennoglauser@gmail.com

 

Hingehen und dort sein

Ich spreche ihre Sprache nicht. Verbale Kommunikation kann nur über die paar Brocken laufen, die der eine oder andere Ayoreo der jungen Generation  zu übermitteln versteht.  So ist mein bei- ihnen- sein nicht eine gespächiges, sondern eine ruhiges, aufnehmendes. Ich verbringe Stunden unter den Bäumen mit ein paar Männern, auch die Frauen sitzen dabei, auf ihren Tüchern, die sie auf der Erde ausgebreitet haben, sie arbeiten  an ihren Taschen aus Caraguatá- Fasern. Da ist viel Leben…wir sind umringt von spielenden Kindern, es gibt Hühner, und Hunde….und viel Geschrei, rege Gespräch da und dort, zu zweien, zu mehreren, gleichzeitig, plötzlich dann wieder alle zusammen, vereint im selben Gesprächsfluss…Ich bin ein Fremdkörper, der sich mit den ihm zugänglichen Mitteln langsam in diese Athmosphäre hineinsinken und – ziehen lässt.

In den ersten Stunden “leide” ich meist an meiner sprachlichen Unzulänglichkeit, aber auch an der scheinbaren Nutzlosigkeit meines Besuches. Besucher bringen immer Etwas mit: Etwas Materielles, oder ein Vorhaben – ein Projekt, aus dem die Ayoreo Nutzen ziehen können, eine gute Absicht, die wenigstens auf längere Sicht etwas zu versprechen scheint, Aussicht auf Zugang zu Land, Lebensmitteln, Medikamenten, Transportmöglichkeiten, Jagdzügen, Gelegenheitsarbeit, Unterstützung in Notsituationen, Einfluss, politischen Schutz….Ich aber stehe  – abgesehen von etwas Reis oder Yerba, mein Beitrag an das Essen – mit ziemlich leeren Händen da und leeren Taschen da, viel ist mit mir nicht anzufangen, fühle ich, und das ist keine leichte Situation für einen Vertreter unserer begüterten Lebenskultur, ausgestattet mit mannifachen Mitteln, das Umgehen mit dieser “Nutzlosigkeit”, und gleichzeitig merke ich, dass mein Unwohlsein vor Allem oder gar ausschliesslich nur das Meine ist. Etwas, was mich unwohl sein lässt, nicht aber die Menschen, die ich besuche, wie es scheint…

Während die Zeit vertstreicht, pflegen diese Gefühle dann langsam in den Hintergrund zu treten und an ihre Stelle tritt eine innere Ruhe, auch genährt an der Zufriedenheit und Freude, die sich trotz – und vielleicht auch wegen –  meiner Anwesenheit breitzumachen beginnt….Ich beginne mich langsam wohler zu fühlen…

Kurze Gespräche mit bruchstückhaften Übersetzungen kommen auf, manchmal gilt es, ein Missverständnis zu klären, welches durch die fehlende direkte Kommunikation entstanden ist; manchmal ist eine für ihre Lebenskultur ungewöhnliche Reaktion von mir der Anlass.

Die Unmöglichkeit eines über solche Gesprächsfragmente hinausgehenden sprachlichen Austausches hat für mich eine Folge, die sich nun langsam bemerkbar zu machen beginnt: Sie führt zu einer zunehmenden Aktivierung von Dimensionen eines nicht über Sprache und Wörter laufenden “Redens”, macht sie meiner Wahrnehmung zugänglich. Meine Sinne öffnen sich, und ich beginne, Stimmungen und Stimmungsumschwünge aufzunehmen, beobachte die Reaktionen der Menschen auf das äussere Geschehen – etwa das Spiel der Kinder oder die Zänkereien der Hunde, das Wetter, vorbeiziehende Vögel – sie sind in der Ayoreowelt oftmals Träger von Nachrichten, von Ratschlägen oder Warnungen.

Ich fange an, den praktischen Handreichungen des “häuslichen” Alltags, der sich meist ebenerdig in unmittelbarer Nähe der Hütten abspielt, “zuzuhören…”.

Ich überlasse mich dem freien Spiel der Wahrnehmung. Meine Sinne beginnen wie nomadische Jäger und Sammlerinnen umherzustreifen und Nützliches, Bedeutungsvolles, Vorteilhaftes, Gefährliches aufzunehmen …

Mit der Zeit merke ich, dass ich damit der ihnen eigenen Art, in der Welt zu sein und Dinge wahrzunehmen, nun selbst nähergekommen bin…